Seit einigen Woche bin ich jetzt wieder Zuhause und schiebe die letzten Blogartikel über mein neues Lieblingsland vor mir her. Die Mongolei hat mich begeistert, berührt und tief bewegt und nichts, was ich hier aufschreibe, wird meine emotionale und physische Durchgeschütteltheit adäquat darstellen können. Ich versuche es trotzdem. Als erstes möchte ich euch von den Menschen erzählen.
Gastfreundschaft
Würdet ihr einfach so eine Gruppe von Fremden in eurem Zuhause willkommen heißen? Sie bewirten und ihnen einen Schlafplatz zur Verfügung stellen? In der Mongolei ist das Gang und Gäbe. Der Milchtee ist immer warm, eine Schüssel mit Gebäck steht bereit und natürlich das mongolische „Bier“ Airag, die vergorene Stutenmilch. Schnell sitzen alle gemütlich beisammen, erzählen sich Geschichten, spielen Shaga oder singen abwechselnd Lieder, die von Pferden handeln. Manchmal auch von Kamelen. Und dann plötzlich heißt es „german song“ und man wird erwartungsvoll angesehen. Gut, dass Russland uns auf diese Situation vorbereitet hat!
Umgang mit Tieren
Mongolische Nomadenfamilien halten sich in der Regel große Herden von Ziegen, Schafen, Pferden und Rindern, Yaks oder Kamelen, die sich frei durch die Steppe bewegen und bei Bedarf zusammen- und weitergetrieben werden. Stolz tragen die Kühe ihre Hörner umher, neugierig steht plötzlich eine Ziege auf der Jurtenschwelle, während die Pferde ungehemmt über die Hügel galoppieren und die Kamele einen hochmütig aus der Ferne beäugen. Sie alle liefern ihren Menschenfamilien Wolle und Milch und am Ende dann auch Fleisch, Leder und Knochen. kein Tier wird ausschließlich für eine Sache geschlachtet, immer wird soviel wie möglich verwendet und verarbeitet. Nur die Pferde kommen meistens davon. Sie sind der Stolz einer jeden Familie und tief mit der mongolischen Geschichte verwurzelt.
Coolness
Mensch kam ich mir weichgespült vor, als ich unsere neuen mongolischen Freunde dabei beobachtete wie sie lässig auf ein galoppierendes Pferd sprangen, zu dritt auf einem klapprigen Motorrad den Hügel hinunterrasten, Autos reparierten und am Lagerfeuer Wrestling übten. Vom Orientieren ohne Landkarte und Smartphone in der Wüsteneinsamkeit über Kamelreiten, bis zum Herstellen von Käse und bühnenreifen Gesangsdarstellungen war alles dabei.
Die Mongolen können einfach ALLES und sie tun es mit einer Gelassenheit, die so gut wie keiner von uns in ähnlichen Situationen an den Tag legen würde.
Gelassenheit
Ja, wie oben schon gesagt Gelassenheit ist einer der Hauptwesenszüge der Menschen, die uns begegnet sind. Mit Problemen wird sich nicht jetzt schon auseinandergesetzt,sondern erst wenn sie da sind, man will sich ja nicht die Laune verderben. Und dann gibt es auch eine Lösung. Immer. Ob nun das geplante Barbecue ausfällt, weil es in keiner der kleinen Wüstenstädtchen Fleisch zu kaufen gibt oder ob einer der Guides fast vom Pferd fällt, weil er Fieber hat. kein Grund zur Panik. Mit kühlem Kopf wird umdisponiert, umgeplant und weitergemacht. Wieso muss man sich auch aufregen? Ändern kann man dadurch ja doch nichts.
Spontanität
Können wir vielleicht unseren Ausritt um eine Stunde verlängern? Können wir morgen für 20 Tage in die Wüste Gobi aufbrechen? Können wir jetzt sofort alle zusammen auf dem Dschingis Khan Square Handstand machen?
Aber klar! Warum denn nicht? Pläne sind dafür da über den Haufen geworfen oder gar nicht erst gemacht zu werden. Es kommt doch eh immer anders. Schnell haben wir uns daran gewöhnt in den Tag hinein zu leben und die Dinge zu nehmen wie sie kommen, bzw. Pläne eher als „Entwürfe“, denn als Tatsachen zu betrachten. So ist man mental auf alles vorbereitet. Keine Enttäuschung und keine böse Überraschung, sondern nur Freude, wenn ein Entwurf zur Tatsache wird. Oder zu etwas Besserem!
Humor
Lachen ist besser als Grübeln, Verzweiflung, Ratlosigkeit und Wut. Lachen ist in jeder Situation die erste Wahl. Und Phantasie! Was kann man doch für einen Spaß dabei haben sich vorzustellen, wie ein Pferd in einem Rucksack aussehen würde. Wie viel Freude hat man, wenn der Gegenspieler im Schach oder Shaga gewinnt. Oder verliert. Und wie schön und lustig ist es, wenn die Touristen mal wieder eine ihrer komischen Fragen stellen und wenn sie dann noch versuchen, den ausschließlich grasfressenden Pferden Äpfel anzubieten ist das Vergnügen komplett!
Besinnung auf das Wesentliche
Am Ende der Reise habe ich unsere Welt nicht mehr verstanden. Wohnungen vollgestopft mit Krimskrams. Smartphones. Soziale Netzwerke, die uns das Gefühl geben weniger einsam zu sein und die Fähigkeit nehmen auf Menschen zuzugehen. Häuser, die immer an der selben Stelle stehen, weil sie viel zu massiv gebaut sind. Straßen, die permanent sind und deren Route sich nicht mehr verändern lässt. Ein Land, dass so vollgestopft ist mit Menschen und Häusern und Dingen, die man unbedingt braucht, weil man eben nicht mehr alles selber kann. Weil man nicht seine eigene Ziege züchten kann, sondern den Bauern, den Melker, den Käser, die Verpackungsmaschine und den Supermarkt braucht, bis man endlich an den Ziegenkäse herankommt.Weil man Landkarten, Stadtpläne, ÖPNV-Apps und Google Maps braucht um sich zurechtzufinden. Weil man glaubt eine überbordende Auswahl an Gerichten haben zu müssen und ein Restaurant mit nur einem Gericht und ohne Speisekarte undenkbar ist. Weil man in unserer Welt glaubt, dass das Glück von der Fülle abhängt.
Und dann sitzt man da. Auf dem Rücken eines störrischen kleinen Steppenpferdes. Seit Tagen ungeduscht und erfreut sich an der Sonne, die die grünen Hügel langsam in ein goldenes Licht taucht. Der Hintern tut weh, der Sattel ist alles andere als bequem. Der rauhe Strick, der als Zügel dient, reibt einem die Hände auf und das Abendessen, auf das man sich freut, besteht aus Nudeln mit Gemüse und fettigem Hammelfleisch, so wie die letzten Abende und Mittage zuvor. Danach schützt man sich vor dem ungehemmten Steppenwind in der Jurte und steckt die schmerzenden Glieder aus. Morgen, Morgen sehen wir wieder die Sonne über dem Grasland aufgehen!
Was braucht man denn mehr?