Die erste Reise, die ich bewusst alleine unternahm, war eigentlich eher eine „Reise in der Reise“. Mit 20 arbeitete ich als Au Pair in Neuseeland und nutzte jede freie Minute dazu mir das Land anzusehen.
Ich war vorher eher so ein Kleinstadtkind gewesen. Gereist war ich schon, Interrail und was man halt so macht in und nach der Schulzeit. Ich wusste also schon das Reisen irgendwie spannend ist. In der Vergangenheit war es aber auch immer ziemlich anstrengend gewesen. Kompromisse schließen mit den mitreisenden Freunden oder der Familie, Sehenswürdigkeiten abklappern (sonst hat man ja Zuhause nichts zu erzählen), Fotos machen, damals ja noch analog, also nicht so viele, aber dafür die richtigen! Mensch vor Sehenswürdigkeit, Sehenswürdigkeit ohne Mensch, Mensch beim Essen, Menschen mit abgeschnittenem Scheitel, da mit Selbstauslöser auf wackeligem Zaunpfahl fotografiert. Also ja, Reisen, das kannte ich.
Jetzt aber wollte ich alleine los, bzw. musste alleine los oder eben gar nicht. Immerhin war ich ja hier mit einer Mission: das Jahr in Neuseeland sollte mich mir selbst (Reisen ist doch immer irgendwie Selbstfindung ob man nun will oder nicht.) und meiner Berufswahl näher bringen. Ich schwankte damals zwischen Anglistik, Tiermedizin und „irgendwas mit äh Tieren. Oder Menschen. Oder so“. Jaha, das mit der Selbstfindung war dringend nötig wie du siehst!
Ich hatte also den Entschluss gefasst, Neuseelands Südinsel zu erkunden. Alleine. Und ohne eigenes Auto.
Viel mehr Planerei hielt ich nicht für notwendig. Ich schnappte mir meinen Rucksack, einen Reiseführer und ein bisschen Proviant, ließ mich von meinem Gastvater bis zur nächsten Kreuzung fahren und streckte dort todesmutig den Daumen in die Luft. Kann doch nicht so schwer sein das alles hier!
Die Ersten, die anhielten, waren zwei lustige junge Männer. Schafscherer, wie ich später erfuhr. Sie fanden es wohl ganz amüsant mich durch die Gegend zu kutschieren. Vielleicht wollten sie einfach nur mal sehen wir die kleine Deutsche Touristin in den Straßengraben kotzt. Zuerst machten wir Pause bei einem befreundeten Farmer, dessen Frau uns mit Kuchen und Tee bewirtete. Dann, als wir vollgestopft bis oben hin weiterreisten, fragten sie mich ob es mir etwas ausmachen würde, wenn wir kurz bei einem kranken Schaf vorbeisähen. „Not at all“ krähte ich munter und ahnte nicht, was da auf mich zukommen würde.
Das Schaf stand alleine in einem dunklen Verschlag und meine beiden neuen Freunde zeigten mir triumphierend seine Hufe, die von einer Art Made befallen zu sein schienen. Uäääh! Soviel zum Thema Tiermedizin. Immerhin schaffte ich es cool zu bleiben, während einer der beiden mit einem scharfen Messer an einem der Hufe herumzuschnibbeln begann. Die kläglichen Laute des armen Tiers hörten wir auf der Weiterfahrt noch hinter der nächsten Biegung.
Schließlich verließen die beiden Jungs meine Route und krakelten vor dem Abschied schnell noch „Wellington“ auf ein Pappschild, das mir die Weiterfahrt erleichtern sollte.
‚Gar nicht mal so übel diese Tramperei‘, dachte ich bei mir und hielt das Schild am ausgestreckten Arm in den Wind. Nein wirklich nicht übel, denn nichts ist leichter als Trampen, wenn man als alleinreisende Frau unterwegs ist.
Ich bin auf dieser Reise nur von freundlichen und harmlosen Menschen mitgenommen worden. Gut, im Nachhinein sagt sich das leicht. der Typ der drei Stunden lang „I can’t get no satisfaction“ in Dauerschleife bei vollster Lautstärke hörte, war schon ein bisschen creepy. Oder der, der so schnell und aggressiv fuhr, dass ich mich eine Stunde lang schwitzend am Türgriff festhielt und um mein Leben bangte (ich bin auch sonst eher eine schreckhafte Beifahrerin), aber im Großen und Ganzen überwogen die älteren Ehepaare, die „sonst nie Tramper mitnehmen, aber so ein armes Mädchen ganz alleine…“ und die Alt- und Neuhippies, für die Tramper mitnehmen natürlich zum guten Ton gehört.
Ich dachte während dieser Reise unerwartet wenig über meine bevorstehende Berufswahl nach, sondern verbrachte die meiste Zeit damit, mich über die Schönheit der Welt und die Freundlichkeit der Menschen zu wundern.
Ich hatte meine Teenagerjahre eher missgelaunt und wenig selbstbewusst hinter mich gebracht und nahm die Welt als einen überwiegend unfreundlichen Ort wahr. Nicht unbedingt bedrohlich, aber voll von langweiligen Pflichten und ernsten Erwachsenen.
Und jetzt war da plötzlich dieser wunderschöne Ort voll mit Menschen und Meeresrauschen und guten Gesprächen und Sonnenuntergängen, Lagerfeuern und Wasserfällen und Musik.
Natürlich war und ist Neuseeland anders als Deutschland und auch die Menschen sind anders dort, aber vor allem war ich anders!
Ich konnte zum ersten Mal (zumindest bewusst) genau so sein wie ich wollte und auch genau das tun was ich wollte. Und weil es das erste Mal war, musste ich tatsächlich erstmal herausfinden wie und wer ich denn nun eigentlich sein wollte.
Ich war am anderen Ende der Welt in einem Land, in dem mich keiner kannte und konnte mich selbst plötzlich völlig neu erfinden. Ich konnte ausprobieren auf Menschen zuzugehen, ich konnte die ausgelassene Partykanone sein oder die stille Beobachterin. Ich konnte mal austesten ob ich eher die Quasselstrippe oder die besonnene Philosophin sein wollte.
Ich konnte mich völlig offen auf die Suche nach mir selbst begeben.
Mensch war das schön und neu und wunderbar. Es war Freiheit. Verstärkt natürlich durch die Zukunft, die damals so völlig offen vor mir lag.
Ich wollte nicht wieder nach Hause, ich wollte das Gefühl nicht mehr verlieren und vor allem wollte ich von meinem gewohnten Umfeld nicht an die Person erinnert werden, die ich war bevor ich all diese neuen Dinge über mich gelernt hatte.
Jetzt kann ich dir natürlich viel erzählen. Darüber, das dein Umfeld immer ein Spiegel deiner Selbst ist und du ganz allein entscheidest wer du bist und wie du wahrgenommen werden möchtest.
So einfach ist das aber in der Realität nicht. Routinen, Alltag und unsere Ängste halten uns zurück und lassen uns vergessen wer wir sein könnten.
Lass das nicht passieren. Geh raus, lass dir den Wind um die Nase wehen. Trau dich Berggipfel zu besteigen oder Fallschirm zu springen oder mit dem Motorrad Australien zu durchqueren. Verlasse alles Gewohnte, damit du deine eigene Kraft wieder spüren kannst!