Der Wagen ruckelte und holperte über löchrige russische Landstraßen. Olga und ihre Enkeltochter Julia sangen fröhliche Lieder, an den Fenstern zogen grüne Wiesen und endlos scheinende Wälder vorbei und während ich so vor mich hinlauschte und schaute und mich gleichzeitig am Türgriff festhielt um meine neuerdings lädierte Wirbelsäule zu schonen, schweiften meine Gedanken zurück zum Beginn dieser Geschichte.
Vor zwei Tagen waren wir hier angekommen. Im kleinen Örtchen Kungur, mitten in der russischen Provinz, irgendwo zwischen Perm und Yekaterinburg. Ein munterer Taxifahrer hatte uns an kleinen Holzhäusern, streunenden Hunden und alten Plattenbauten vorbei zu unserer Unterkunft gefahren. Dem „Kungur Hostel“.
Hier empfing uns Olga wie lang vermisste Familienmitglieder, bat uns in ihrer Küche Platz zu nehmen und bewirtete uns zunächst mit Tee und Keksen, später und in den nächsten Tagen dann mit weiteren russischen Köstlichkeiten.
Wir stromerten durch die Stadt, langsam um meinen durch Transsib und Rucksack geplagten Rücken wieder fit zu bekommen und besichtigten zusammen mit einer Gruppe russischer Senioren die Kungurer Eishöhle, deren Geschichte und Besonderheiten uns von einer Dame erklärt wurden, deren Russisch so klang wie das einer gelangweilten Radiomoderatorin.
In kleinen klapprigen Bussen fuhren wir durch die Stadt, sahen uns alte Holzhäuser und bunte Kirchen an und kehrten immer wieder in Olgas warme Küche zurück. Hier saßen wir dann und unterhielten uns. Wir mit unseren 3 Worten Russisch und Olga mit großen Gesten und energischen Erklärungen.
Und jetzt saßen wir also im Auto und fuhren, soweit wir das verstanden hatten in ein Dorf in dem es ein Kloster zu besichtigen gab. Olgas Cousine sei dort Nonne hatte sie uns erklärt und deswegen könnten wir auch Zugang zum Glockenturm bekommen und überhaupt mal das richtige Russland kennenlernen.
Das richtige Russland! Na klar, genau das wollten wir doch!
„Und jetzt ihr!“ bedeutete uns Olga hinter dem Lenkrad „jetzt müsst ihr etwas singen!“
Oh, ja das hätten wir eigentlich kommen sehen können. Nach langer Grübelei und noch längerer Diskussion stimmten wir endlich „Hoch auf dem gelben Wagen“ an. Olga klatschte pflichtbewusst, die kleine Julia schien weniger überzeugt. Bevor wir jedoch noch einmal beginnen konnten mit der Grübelei, der Diskussion und dem Singen bogen wir in eine holprige Dorfstraße ab und hielten vor einem großen Bauernhaus.
Olgas Cousine unterbrach ihre Gartenarbeit um uns freundlich zu empfangen und uns sofort mit all den guten Dingen, die hier offensichtlich selbst hergestellt wurden zu bewirten. Olga machte sich lustig über unser Zögern, lud uns den Teller voll und erwartete neugierig unser Urteil. Die kleine Julia hatte mittlerweile neben mir Platz genommen und murmelte mir schüchtern verschiedenes ins Ohr. Lediglich das Wort „Limonade“ verstand ich und erntete ein strahlendes Lächeln als ich ihr eine solche einschenkte.
Nach dem Essen führte uns der stämmige Maxim auf den Glockenturm und jagte uns mit donnerndem Getöse einen großen Schreck ein. So dicht hatte ich noch nie an einer Kirchenglocke gestanden. „Und jetzt du“ bedeutete Maxim mir und zeigt auf das Fußpedal für die große Glocke. Vorsichtig trat ich darauf – kein Ton. „Mehr Schwung!“ gestikulierte Maxim und ich versuchte es nochmal nur um direkt wieder zusammenzuzucken, Mensch war das laut!
Ein Spaziergang entlang des träge dahinfließenden Iren beschloss unseren Ausflug und läutete gleichzeitig unseren Abschied ein. Am Abend würden wir wieder unsere Pritschen in der Transsib beziehen. Traurig saßen wir ein letztes Mal in Olgas warmer Küche, wer hätte gedacht, dass wir uns hier so schnell Zuhause fühlen würden?